Ade den gemütlichen Zeiten - jetzt wird es härter und interessanter
Gerhard Gundermann, Kumpel in der Kohle und Liedermacher Gespräch von Martina Krüger mit Gerhard Gundermann, November 1989 in Spreetal
Der Liedermacher Gerhard Gudermann zog gemeinsam mit seinen Kollegen Reinhold Andert und Reinhard Drogla mit dem Programm „Heimatlieder“ durch unser Land. Ich erlebte es am 8. November - und in diesen bewegten Wochen zählt jeder Tag - in der Wabe im Berliner Kulturhaus am „Ernst-Thälmann-Park“. Bürgen doch eigentlich Gundermann und Andert für geistig frische, angriffslustige Lieder, blieb dieser Abend weit hinter den Erwartungen zurück. Einige Tage später traf ich mich mit Gerhard Gundermann in seinem Haus in Spreetal beim Tagebau Welzow, um mit ihm über seine Arbeit als Liedermacher und Baggerfahrer zu reden.
Woran lag es, dass dieser Abend mit „Heimatliedern“ am Publikum vorbeiging?
G.G.: Es gibt eine bestimmte Erwartungshaltung an Liedermacher. Der konnten wir in diesem Programm von Tag zu Tag weniger entsprechen, weil uns die Realität einholte. Dazu kam, dass wir uns im Programm selbst auch ziemlich unbeweglich zeigten.
Mal zugespitzt gefragt: Werden Liedermacher jetzt
arbeitslos?
G.G.: Es gibt ja immer Spieler und Gegenspieler. Wenn der Spieler verschwindet, hebt sich auch der Gegenspieler auf. Wenn ich merke, dass ich nichts Neues zu sagen habe, gehe ich nicht mehr vor die Leute.
Die Kritiker werden genau hinhören und Scharlatane von ehrlichen Sängern und wahren Künstlern zu unterscheiden wissen. Doch noch mal zu den „Heimatliedern“. Was bedeutet für dich der Begriff Heimat?
G.G.: Bis vor einem Monat hätte ich prompt dazu etwas zu sagen gehabt. Jetzt ist es schwieriger. Die Ereignisse in den letzten Wochen haben uns vieles neu durchdenken lassen.
Für mich ist Heimat der Waldweg, den ich am Tag dreimal mit meinem Hund gehe. Von dort kann ich das Ozonloch sehen, das kein Land und keine Nation allein flicken kann.
Zur Heimat gehört auch Lebensweise. Hier, wo ich arbeite wird eine ganze Lebensweise Stück für Stück geerdet. Die Dörfer der Sorben werden abgeräumt, damit wir später die Kohle rausholen können.
Wenn ich höre, wie da Leute vor vier Wochen noch mit den Worten „endlich in Freiheit“ rübergegangen sind, oder wenn ich im Fernsehen sehe, wie sie nach 100 D-Mark anstehen, sich als DDR-Bürger die Affen im Zoo umsonst ansehen dürfen, geht mir vieles durch den Kopf. Ich habe meinen geistigen Vorlauf eingebüßt. Bis vor einem halben Jahr hätte ich sagen können, dass ich ein paar Sachen aus der Übersicht heraus vielleicht klarer sehe als mein Nachbar. So gesehen ist es vielleicht falsch, dass wir zu diesem Zeitpunkt miteinander reden.
Das finde ich nicht, weil solche Gespräche auch zu unserem Selbstverständigungsprozess gehören. Es wäre enttäuschend gewesen, wenn du ein fix und fertiges Konzept aus der Tasche geholt hättest, alles schon immer stets besser gewusst hättest. Regt dich diese gegenwärtige Situation des Aufbruchs zur Produktivität an?
G.G.: Man sehnte sich immer nach Harmonie, aber in dem Moment, wo sie eintritt ist man schon nicht mehr produktiv. Man wird, glaube ich, auch aus Krisensituation heraus produktiv.
Gesellschaftlich sind wir ja erst so weit, dass wir, im Überbau die Bedingungen schaffen, die uns in die Lage versetzen, aus der Krise herauszukommen. Um das bildlich zu beschreiben. Der Arbeitsplatz wird neu eingerichtet, das Werkzeug wird so zurechtgelegt, dass man besser rankommt. Und dann erst fängt die Arbeit an, dann erst wird sich auch herausstellen, ob unser Werkzeug reicht oder ob wir ganz anderes brauchen.
Ein einleuchtendes Beispiel. Und wie siehst du als Arbeiter deine Rolle dabei? Bloß drauflosackern ist wohl kein akzeptabler Vorschlag mehr?
G.G.: Ich denke, wir sollten uns auf Erfahrungen besinnen, vielleicht einen Schritt zurück machen und dann zwei nach vorn, denn in bestimmten Dingen haben wir uns verlaufen. Wie unterscheidet sich denn ein Arbeiter bei uns von dem bei Krupp? Er erfüllt seine Arbeitsaufgaben, aber über die Verteilung des Produkts hat er nichts zu bestimmen. Man muss sich Volkseigentum wieder sinnlich erlebbar, durchschaubar und handhabbar machen.
Konkretes Beispiel: Zu der Besatzung meines Baggers gehören drei Leute. Will einer freimachen entscheidet das der Schichtleiter. Warum nicht der Baggerfahrer? Klar, dass der Bagger laufen muss, gibt der Baggerfahrer dem Maschinisten frei, muss er seine Oma mitbringen. Die Leute müssen selbst ihren Arbeitsbereich organisieren. Man sollt sein Leben wieder selbst in die Hand bekommen, vor allen in der Produktion. Da müssen die Felder neu bestimmt werden. Eine stärkere Betonung des genossenschaftlichen Eigentums wirkt positiv auf die Effektivität.
Noch ein Gedanke dazu. Lange ist außer acht gelassen worden, dass unser wichtigstes Bedürfnis ist, dass wir die eigenen Bedürfnisse selber befriedigen, nicht, dass man befriedigt wird.
Kurz, die gemütlichen Zeiten sind vorbei. Sie werden härter, aber auch interessanter.
Gedanken von Baggerfahrer Gundi Gundermann, denen man sich nicht verschließen kann. Kommt er da nicht mit dem Künstler Gundi Gundermann ins Gehege? Künstler werden oft skeptisch wegen manchmal hochfliegender Gedanken und Privilegien betrachtet und behandelt. Wie ist es bei dir?
G.G.: Die Kollegen kennen mich von der Arbeit. Danach werde ich beurteilt. Mancher interessiert sich dafür, was ich sonst noch mache, aber nicht übermäßig. Die Leute gewöhnen sich daran, dass ich vormittags Bagger fahre und nachmittags „Faxen“ mache.
Für mich gehört das zusammen. Ich bin der Meinung, dass jeder Mensch mindestens auf zwei Schienen gesellschaftlich Austausch betreiben will und das auch entsprechend seinen Möglichkeiten tun sollte.
Ich glaube, du weichst aus. Spätestens nach dem Fernsehporträt 1982 müsstest du bekannt sein wie ein bunter Hund im Betrieb...
G.G.: Ein bunter Hund bellt auch nicht lauter als ein schwarzer...
Und sonst...?
G.G.: Das mit der Anerkennung meiner Liedermacherei im Bezirk Cottbus ist ein zähflüssiger Prozess. Lange Zeit durfte mein Name nicht in der Lausitzer Rundschau erwähnt werden, noch nicht einmal bei Ankündigungen. Als ich den Hauptpreis bei den Chansontagen 1987 in Frankfurt (Oder) gewann, wurde das im Bezirk Cottbus verschwiegen. Mehr oder weniger direkt hing mein Ausschluss aus der SED mit diesem genannten Fernsehporträt zusammen.
Trotzdem hast du dich weiter engagiert, dich um geistigen Austausch mit Ähnlichdenkenden und Andersdenkenden bemüht...
G.G.: Natürlich. Letztendlich hat es sich doch ausgezahlt.
Gerade jetzt ist der geistige Austausch der Bürger dieses Landes mit diesem Land wieder in Gang gekommen. Viele Leute haben hier nur noch materiell existiert, haben ihr Geld verdient, ihr Essen gekauft. Doch der geistige Austausch fand zunehmend über den Fernseher mit einer anderen Welt statt. Ähnliches war auch in der Kunst zu konstatieren. Das, was die Medien boten, oder auch Bücher, hatte mit dem täglichen Erfahrungsbereich der Leute wenig zu tun. So musste eine rückläufige Tendenz der Gegenwartskunst festgestellt werden. Der formale Wert, sagen wir ruhig Showwert, wurde zunehmend betont. Heraus kamen schließlich solche Produkte, die die Leute zwar nicht interessierten, aber doch befriedigten.
Nehmen wir nur die Rocker. Einige haben sich benutzen lassen, bis sie dann einfach aufgeweckt worden sind durch - so paradox es klingen mag - weggebliebenes Publikum. So existierte auch hier der Überbau lange Zeit abgehoben von der Basis. Die Künstler haben schließlich sensibel reagiert und ständig Alarm nach oben gemeldet. Wir Unterhaltungskünstler taten das mit der Resolution ende September nachdrücklich.
Freilich war das nur ein Tropfen auf den heißen Stein, aber es gab viele Tropfen bis der Stein soweit abgekühlt war, dass man ihn anfassen konnte. Endlich.
Erschienen November 1989 in der Berliner Ausgabe der Zeitung "Neues Deutschland".
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