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Tino Eisbrenner: Gedanken zum 7. Oktober-Frage, wer wir sind (Gesellschaft)

verfasst von Sarah(R), 07.10.2022, 17:52

Tino Eisbrenner in der heutigen Ausgabe der DKP-Zeitung unsere zeit, den ich hier ungekürzt wiedergebe, da er hinter einer Abonnement-Schranke liegt:

Tino Eisbrenner: "Gedanken zum 7. Oktober - Die Frage, wer wir sind"

Ja, es ist der 7. Oktober – der andere deutsche Nationalfeiertag –, und die Frage, was bleibt, wird offenbar von Jahr zu Jahr lauter, obwohl sich unser Staat und seine Medien doch genau um das Gegenteil bemühen.

33 Jahre intensivster Reduzierung der Erfahrung DDR und Sozialismus auf die Worte „Unrechtsstaat“, „Stasi“ und „Stalinismus“ haben zwar den Grad des Wissens über dieses Land und seine Gesellschaft stark verknappt, aber den Widerstand gegen diese Verächtlichmachung gleichsam vergrößert.

Viele Menschen erwarten nach 33 Jahren einen saubereren Umgang mit diesem Teil deutscher Geschichte. Sie erwarten Differenzierung, sie erwarten die Aufarbeitung der auch anderen Seiten des Sozialismus. Sie erwarten, dass die Geschichte der DDR im Kontext der Weltpolitik gesehen und vermittelt wird.

Meines Erachtens übrigens auch ein Versagen „der Linken“, dies in den letzten 20 Jahren nicht mehr deutlich eingefordert zu haben, die eigene kulturpolitische Tradition vergessen oder gar geleugnet und damit die Genetik des Ostens ignoriert zu haben.

„Den Osten zurückgewinnen“, wie führende „Linken“-Politiker sich nach der Schmach der vergangenen Wahl blutleer auf die Fahnen schreiben, beginnt aber genau bei der Frage, wer wir waren.

Die Frage, wer wir sind, ist nicht anders zu beantworten.

Und um die Progressivität meines Anliegens zu unterstreichen, füge ich hinzu: Die Ergründung des fortschrittlichen Aspektes von 70 Jahren gelebtem Sozialismus in der Welt und 40 Jahren in der DDR könnte durchaus einen positiven Beitrag bei der künftigen Gestaltung unserer gesellschaftlichen Zukunft leisten.

Fragt sich denn wirklich niemand, warum es in der DDR keine Angst vor sozialem Elend gab? Keine Kinderarmut, ein gut funktionierendes Gesundheitssystem, subventionierte Kultur für jedermann, ein brillantes Bildungssystem oder staatlich geförderte Friedenspolitik?

Ist es für unsere heutige Zeit wirklich so völlig egal, herauszufinden, wie man das damals hinbekommen hat? Und zwar trotz des kalten Krieges und eines Gegners Wand an Wand, dessen Staatsapparat aus ehemaligen Kriegsverbrechern gegründet worden war, die es sich zur politischen Aufgabe machten, den Ausgang des Krieges über kurz oder lang doch noch zu korrigieren und deren Erbschaft deutlich auszuschlagen wir gerade in unseren Tagen kaum noch in der Lage sind?!
Als man im Russischen Sektor noch „Deutschland einig Vaterland“ sang und allein die Kriegsreparationen an die Sowjetunion zahlte, während die USA das größere Deutschland mit Carepaketen fütterte, bewies jenes größere Deutschland seine übermächtige Liebe zu den Verwandten im Osten mit eigener Währungsunion (die ihre Kaufkraft gegenüber den Ossis verzehnfachte), mit der Gründung der BRD (die die nachfolgende Gründung der DDR jahrelang nicht anerkannte), mit der Gründung der Bundeswehr 1955 (die die nachfolgende Gründung der NVA 1956 totzurüsten versuchte) und so weiter.

Wie hat es das kleinere Deutschland, das ständig auf diese Schritte zu reagieren hatte, trotzdem geschafft, seinen Sozialstaat zu errichten, und zwar so beispielhaft, dass der Westen den seinen erst abzubauen wagte, als das sozialistische Beispiel des kleineren Nachbarn bezwungen war?

Können wir auf dieses differenzierte Wissen wirklich verzichten bei den gesellschaftlichen und politischen Aufgaben, die vor uns liegen?

Egal ob wir links denken oder nicht, haben wir nicht die verdammte deutsche Pflicht, die Geschichte und die Errungenschaften des Sozialismus auszuwerten und für unser weiteres Vorgehen auf Erkenntnis zu prüfen? Wie kommt es, dass wir einem System verzeihen und sogar vertrauen, das Faschismus, Genozide und Weltkriege hervorgebracht hat und dessen „Schoß, aus dem das kroch“ (BB) vor unseren Augen nun wieder fruchtbar wurde? Aber die Fehler und Taten, die beim bisher einzigen Versuch einer Alternative begangen wurden, die können wir nicht verzeihen?

Vielleicht, weil wir uns haben von der Macht korrumpieren lassen, die in diesem jetzigen System von vor und nach dem Krieg an den Strippen zieht? Weil wir etwa glauben, dieses System ginge uns nichts an, bevor es nicht vor unserer eigenen Haustür detoniert? Aber, Überraschung! Das muss es gar nicht, denn es sitzt schon mit uns am Küchentisch, es begleitet uns beim Einkaufen, es öffnet unsere Stromrechnungen, fährt mit uns tanken, es sucht mit uns den Platz zum Wohnen, es streitet quer durch unsere Familien über Corona, es rodet unsere Regenwälder, es schickt unsere Söhne in sinnlose Kriege, es schleicht durch unsere Schulen und Universitäten und es spielt in unseren Kinderzimmern.

Wer will wirklich glauben, dass die Differenzierung bei der Aufarbeitung der bisher einzigen alternativen Idee keinen Wert für uns haben könnte?

 

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