Gundi-Forum

hugo
siehst du da drüben die rote flamme?
natürlich, bist ja nicht blind.
das ist die fackel vom kombinat. dort werden die entspannungs-
gase abgebrannt. darunter die schwefelhölle, wo sie den gasen
vorm abblasen noch den schwefel entreißen,
sechsundzwanzig tonnen pro tag.
die tonne auf dem weltmarkt 420 mark.
dort arbeitet hugo.

vor vier jahren habe ich ihn ausgebuddelt.
er machte den Vorsänger im club der 6. oberschule und die
ersten grabscher auf der gitarre.
damals konne ich auch schon sieben griffe,
die zeigte ich ihm großzügig.
als die gruppe sich auflöste kam er zu uns,
ein stiller mit ganz weicher stimme.
als unsere wichtigen Leute in die weite welt gingen und zur armee,
musste er auf einmal ran. da hat er erstmal richtig sprechen
lernen müssen, das rrr und t!!
und seine Meinung.
….
hugo ist fast der wichtigste jetzt.
wenn wir in einer Diskussion zu bösen Steinen werden, fragt einer
den immer noch stillen: was sagst du dazu?
seine Worte sind dann auch nicht richtiger, wichtiger, als unsere.
aber er schreit sie nicht. deshalb halten sie sich am längsten….

vorige woche schwefelhölle.
schichtleiter, zwei facharbeiter, einer davon hugo, zwei lehrlinge.
wo fünf arbeiter stehen müßten.
schichtleiter wird zum leitstand gerufen.
ein facharbeiter in der kantine.
ein leichter gasgeruch.
hugo zieht die havarieschieber, fluchtmaske auf, dann ins labyrinth,
auf die Suche nach der undichten stelle. vier minuten braucht er,
nach weiteren 16 minuten ist das ventil gewechselt. Die öfen waren
noch heiß, so brauchten sie keine fremdzündung und konnten
nach kurzer zeit wieder volle leistung bei optimaltemperatur fahren.
hätte auch anders kommen können.
schwefelmonoxid riecht man nur in der ersten phase des austritts.
sobald die konzentration mehr als 1,5 vol% beträgt, lähmt es die
geruchsnerven, danach dauert es noch drei, vier minuten.

hugo will studieren, dann wird er gute kunst machen, dessen bin ich
sicher, und auch seine gagen werden gut sein.
aber sie werden nicht diese prämie aufwiegen, die er erhielt für
verantwortungsvolles handeln.
wie kein lampenfieber die schweißnasse angst aufwiegen kann, die
unter dem maskengummi wuchs, als er suchend durch die rohrschächte
rannte.
wie kein beifall das gefühl in ihm auslösen wird, das ihn von oben herab
befiel und fast in ohnmacht warf, als der schlosse ihm die
beendigung der reparatur meldete.

so wird eine verbeugung von der bühne immer nur ein leichtes
kopfnicken sein, verbunden mit einem anheben der linken
hand, zwei finger gestreckt,
wie sich arbeiter grüßen.
gerhard gundermann