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Beate(R)

26.09.2022, 17:46
(editiert von Beate, 26.09.2022, 17:54)
 

Propaganda gegen Kriegsmüdigkeit (allgemein)

Folgenden von mir gekürzten Text kann ich aus meiner journalistischen Tätigkeit nur bestätigen. Der vollständige Artikel ist aus unten angegebener Quelle vollständig nachzulesen.

Der Autor Georg Rammer (* 13. Januar 1946 in Budapest, Ungarn) ist ein deutscher Psychologe, Autor und Publizist. Er hat seit 1974 den Psychosozialen Dienst der Stadt Karlsruhe aufgebaut und später geleitet. Seit seiner Berentung 2009 betätigt er sich vor allem als Autor, Referent und Publizist.

Ossietzky, die renommierte Nachfolgerin der legendären Weltbühne, herausgegeben von der bekannten ostdeutschen Schriftstellerin, Publizistin und Journalistin Daniela Dahn u.a., schreibt in der heutigen aktuellen Ausgabe 18/2022:

(...) Deutschland ist Kriegspartei, und der Staat rüstet nicht nur die Bundeswehr und die Ukraine massiv auf; er rüstet sich auch im Inneren gegen alle, die gegen diese Politik der Militarisierung und systematischen Verarmung protestieren. Für sie hält das BfV den Stempel »verfassungsrelevante Delegitimierung des Staates« bereit. Nicht Armut und Ungleichheit zerstören den gesellschaftlichen Zusammenhalt, nicht Aufrüstung und weltweite Expansion des Militärs schaffen Misstrauen, Feindschaft und Konflikte, sondern die Verräter im Land. (...)

Der von Russland finanzierte Sender RTDE wurde verboten, die linke Tageszeitung junge Welt steht schon lange unter Beobachtung des Bundesamtes für Verfassungsschutz, und die kritische Website NachDenkSeiten (NDS) gerät unter Beschuss: Das Bundesfamilienministerium und die Bundeszentrale für politische Bildung finanzierten eine »Gegneranalyse« des »Zentrums liberale Moderne«, das damit »systemoppositionelle« Medien analysieren und überwachen will, zu denen die NDS gezählt werden (vgl. NDS, 1.7.22). Ihr Redakteur Florian Warweg wurde nicht zur Bundespressekonferenz zugelassen. Soll hier eine kritische Website in Misskredit und womöglich zum Schweigen gebracht werden, die täglich mit zahlreichen Links zu verschiedenen Medien einen umfassenden Blick auf aktuelle Themen ermöglicht?

(...) Medien nutzen Methoden des »Wording« und »Framing« (»Die Ukraine verteidigt unsere Freiheit und Demokratie«) in ständiger Wiederholung, und ihrer manipulativen Einseitigkeit entkommt nur, wer »alternative« Medien heranzieht. Der Manipulation dient auch das Weglassen von Ereignissen, die die hegemoniale Deutung stören könnten: Das »Verschweigen essentieller Fakten« (Christian Müller auf globalbridge.ch) dient dem Ziel, unsere Realitätswahrnehmung zu verengen. Kein Wunder, dass die NachDenkSeiten unter Beschuss geraten, veröffentlichen sie doch kontinuierlich Beiträge wie »Nichtberichterstattung in Deutschland« oder »Die Ukraine und die Realität« (beide am 29.8.22). Über den Einfluss westlicher Politiker auf den Putsch 2014, die Rolle von Oligarchen und internationalen Konzernen, die verzweifelte, desolate Lage der russischen Bevölkerungsteile, der Wirtschaft und der Demokratie in der Ukraine – nicht erst seit dem Krieg – erfahren die Menschen hierzulande fast nur aus alternativen Medien. Auch das systematische Verschweigen ist Propaganda.

Propaganda will mitnichten informieren, aufklären und ein abwägendes Urteil erleichtern, vielmehr Stimmung erzeugen, Wahrnehmung und Gefühle manipulieren. Nicht nur Hochrüstung (Baerbock: Die Ukraine braucht »auch im nächsten Sommer noch neue schwere Waffen von ihren Freunden«), auch die Ästhetisierung des Militarismus soll gegen die »Kriegsmüdigkeit« (Baerbock) helfen, etwa in der Fotostrecke der bestbezahlten US-Fotografin Annie Leibovitz über den Kriegsherrn Selenskyj für die Modezeitschrift Vogue: Durch die Ästhetisierung der Propaganda zur Anästhätisierung der Massen (Siegfried Kracauer), wie Susann Witt-Stahl in junge Welt diese »Manipulation der Sinne und der Emotionen« beschreibt (27.8.22).

(...) Prinzipien der Kriegspropaganda, die der Pazifist Arthur Ponsonby bereits 1928 beschrieben hatte, lassen sich derzeit täglich beobachten: Schuld am Krieg hat nur der Feind, wir sind die Guten und haben hehre Ziele im Gegensatz zum teuflischen Feind. Politiker und Medien haben es geschafft, der Bevölkerung den militärischen Sieg und den wirtschaftlichen Ruin Russlands als Ziel nahezubringen und nicht einen Waffenstillstand und Verhandlungen über gegenseitige Sicherheitsgarantien. Diese Bellizisten verengen die Realität und blenden Vorgeschichte, Hintergründe und die Interessen anderer Beteiligter vollständig aus. Die Geschichte des Krieges beginnt für sie am 24. Februar, und der einzig relevante Tatbestand ist der russische Angriff. Auf sie trifft die Feststellung von Anne Morelli zu (»Die Prinzipien der Kriegspropaganda«, 2001): »Die Schaffung eines geradezu hypnotischen Zustandes, in dem sich die gesamte Bevölkerung im tugendhaften Lager des gekränkten Gutmenschen wähnt, entspricht wahrscheinlich einem pathologischen Bedürfnis.«

Beate(R)

26.09.2022, 17:48

@ Beate
 

Propaganda gegen Kriegsmüdigkeit

Hat man in Deutschland bis vor 20 Jahren noch eine zurückhaltende Einstellung gegenüber militärischer Expansion und Konfliktlösung beobachten können, dominiert inzwischen eine Einschränkung des Denk- und Sehfeldes. (...) Es findet eine psychische Destabilisierung der Öffentlichkeit statt, die die Urteilsfähigkeit ausschaltet. Davon ist gegenwärtig die öffentliche Meinungsbildung geprägt, die durch Dämonisierung, Aufrüstung und Waffenlieferungen den Feind zu vernichten trachtet (und der neue ist schon im Visier) – und dabei nicht die hohen wirtschaftlichen und menschlichen Kosten wahrzunehmen bereit ist. Und übrigens auch nicht die Profiteure dieses wie aller Kriege, die kein Interesse an friedlichen Konfliktlösungen haben.

Angst breitet sich aus, denn diese vorherrschende militaristische Logik zerstört das friedliche Zusammenleben, die Demokratie und die soziale Sicherheit. Gegenwärtig werden zwar alle gesellschaftlichen und globalen Probleme und Katastrophen, die wie immer primär die Benachteiligten treffen, mit dem Ukrainekrieg entschuldigt, obwohl der nur zuspitzt, was schon lange gärt und jedes Vertrauen in eine gerechte Politik und eine gute Zukunft zerstört. Realistische Konzepte verschiedener Institutionen zu friedlichen Lösungen wurden und werden nicht einmal veröffentlicht, geschweige denn politisch diskutiert.

Ohne die »Infragestellung des Krieges und der militärischen Logik, die Respektierung der Rechte des Gegners und eine unverzerrte Darstellung seiner Intention« (Kempf) kann es keinen Frieden geben. Auch der Gegner fühlt sich bedroht, betont Kempf; das suchte Putin dem Westen seit 20 Jahren verständlich zu machen, zuletzt noch in einem Beitrag für die Zeit zum 80. Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion (vgl. Leo Ensel, NachDenkSeiten, 29.6.21) – ein Vernichtungskrieg, dem 27 Millionen Menschen zum Opfer fielen. Welcher Preis ist in der Ukraine für einen militärischen Sieg oder den wirtschaftlichen Ruin Russlands (Baerbock) zu zahlen? Welche friedlichen Alternativen und Perspektiven der Versöhnung müssen wir gegen die vorherrschende Kriegspropaganda fordern?
Die Bemerkung des Friedensnobelpreisträgers Carl von Ossietzky gilt nach wie vor: »Der Krieg ist ein besseres Geschäft als der Friede. Ich habe noch niemanden gekannt, der sich zur Stillung seiner Geldgier auf Erhaltung und Förderung des Friedens geworfen hätte.« Fordern wir also: Waffenstillstand! Verhandlungen! Abrüstung und gegenseitige Sicherheitsgarantien!

Quelle: http://www.ossietzky.net/artikel/propaganda-gegen-kriegsmuedigkeit/

Skywise(R)

26.09.2022, 21:25

@ Beate
 

Propaganda gegen Kriegsmüdigkeit

Ohne mich groß einmischen zu wollen:

"er rüstet sich auch im Inneren gegen alle, die gegen diese Politik der Militarisierung und systematischen Verarmung protestieren. Für sie hält das BfV den Stempel »verfassungsrelevante Delegitimierung des Staates« bereit."
Mit Verlaub: das ist BILD-, Julian Reichelt-, AfD- oder Tichy-Sprech. Diese haben allesamt diese Formulierung in Frage gestellt; als "Zielgruppe" für die Regelungen wurde vonseiten der Regierung bzw. des BfV bislang immer verwiesen auf die Gruppierungen, die entweder zu Gewalt aufrufen oder Forderungen stellen, die die Demokratie gefährden, z. B. durch Abschaffung des Grundgesetzes. Auch wenn ich keine abschließende Erklärung und Verfeinerung der Kommentierung in jüngerer Zeit zur Kenntnis genommen habe, so steht doch zumindest die Absichtserklärung des Bundes und des Verfassungsschutz-Chefs Herrn Haldewang bereis mehrfach im (virtuellen) Raum. Es ist nicht die Aufgabe dieses Stempels, sich Proteste vom Hals zu schaffen, das wäre auch nicht mit der Verfassung vereinbar.

"Ihr Redakteur Florian Warweg wurde nicht zur Bundespressekonferenz zugelassen. Soll hier eine kritische Website in Misskredit und womöglich zum Schweigen gebracht werden, die täglich mit zahlreichen Links zu verschiedenen Medien einen umfassenden Blick auf aktuelle Themen ermöglicht?"
Nur, um das klarzustellen: die Bundespressekonferenz ist ein *Verein* aus etwa 900 Mitgliedern, in der Regel Journalisten, hauptberuflich aus oder aus der näheren Umgebung rund um die Hauptstadt. Dieser Verein hält die Veranstaltung "Bundespressekonferenz" ab, indem er sich Politiker einlädt und mit Fragen konfrontiert. Die Bundespressekonferenz ist nichts, das vom Bund oder so abgehalten wird, genauer: der Bund hat bei dem Verein keinerlei Mitspracherechte, kann also entsprechend auch nicht auf die Mitglieds- respektive Gästeliste einwirken. Wenn ein Herr Reitschuster oder ein Herr Warweg nicht die Voraussetzungen mitbringen, um diesem Verein beizutreten und an seinen Veranstaltungen teilzunehmen, dann ist das wohl so.

"Über den Einfluss westlicher Politiker auf den Putsch 2014, die Rolle von Oligarchen und internationalen Konzernen, die verzweifelte, desolate Lage der russischen Bevölkerungsteile, der Wirtschaft und der Demokratie in der Ukraine – nicht erst seit dem Krieg – erfahren die Menschen hierzulande fast nur aus alternativen Medien."
Wenn sie sich fast nur über alternative Medien informieren - ja. Und wenn sie sich aus welchem Grund auch immer nicht auch mit der Vergangenheit beschäftigen - auch ja. Aber es gab 2013ff. diverse Medien, die sich tatsächlich sehr intensiv der Aufarbeitung der Geschichte sowie der weiteren Verfolgung der Ereignisse gewidmet haben, weil - es sorgt schon für Gesprächsstoff und den Wunsch nach Aufarbeitung, wenn augenscheinlich Regierungstruppen Demonstranten über Kimme aufs Korn nehmen. Eines der Hauptprobleme damals bestand allerdings meiner Beobachtung nach darin, daß die sich langsam abzeichnenden, später in der sogenannten "Flüchtlingskrise" gipfelnden, Ereignisse 2014ff. sehr viel Aufmerksamkeit zogen und somit das Interesse des Westens langsam einschlief. Wer Desinteresse an der Ukraine oder gar eine Vertuschung von höherer Seite unterstellt, der übersieht oft genug, daß es auch andere Ereignisse gab, über die man berichten konnte. Daß die Ukraine mehr oder weniger im weiteren Verlauf "vergessen" ging oder sich zumindest nach 2018 zeitweise nur noch auf der fünften bis achten Seite der Zeitungen wiederfand, kann und will ich allerdings auch nicht bestreiten.

Skywise(R)

26.09.2022, 21:26

@ Skywise
 

Propaganda gegen Kriegsmüdigkeit

"Schuld am Krieg hat nur der Feind, wir sind die Guten und haben hehre Ziele im Gegensatz zum teuflischen Feind."
Das wäre viel zu einfach für die aktuelle Situation. Die EU, insbesondere Deutschland, hat sich zu Zeiten von Euromaidan alles Andere als mit Ruhm bekleckert. Die EU hat auch zuvor bereits Rußland, insbesondere Putin gegenüber, Schwäche signalisiert, und der ganze EU-weite Zoff wird dem guten Mann mit Sicherheit auch nicht entgangen sein. Auch eine schwächelnde bis unter Donald Trump an internationalen Ereignissen völlig desinteressierte Weltmacht USA wird ihm in die Karten gespielt haben. Deutschland und die EU haben die weiteren Ereignisse durchaus, wenn schon nicht direkt, so doch garantiert indirekt mächtig angeschoben. Und daß (auch hier: nicht nur) Deutschland sich selbst Handschellen angelegt hat durch die selbstverschuldete Abhängigkeit von Rußland in Sachen Energieversorgung, ist eigentlich an Peinlichkeit kaum zu überbieten. Sind wir die Guten? Absolut nicht. Den Status haben wir allerspätestens mit unserem Zögern verloren, das dem russischen Einmarsch in die Ukraine folgte. Da vergingen ganze Tage, in denen ich das Gefühl hatte, daß man jetzt vor lauter Panik oder fehlendem Weitblick bereit war, die Ukraine ans Messer zu liefern. Putin teuflisch? Soll ich ihm zum Vorwurf machen, daß er eine Gelegenheit beim Schopf ergreifen wollte? Kann ich nicht. Hat er in der Vergangenheit doch bereits mehrfach ähnlich gehandhabt.

"Politiker und Medien haben es geschafft, der Bevölkerung den militärischen Sieg und den wirtschaftlichen Ruin Russlands als Ziel nahezubringen und nicht einen Waffenstillstand und Verhandlungen über gegenseitige Sicherheitsgarantien."
Ist das so? Warum kommt das nicht so bei mir als Politik- und Medienkonsument an?
Erstens sprechen die meisten Medien, die mir vorliegen eher vom "Verhindern einer Niederlage der Ukraine" oder einer "Niederlage Rußlands", das ist nicht gleichbedeutend mit "Sieg der Ukraine über Rußland". Zweitens weiß ich wirklich nicht, was es über einen "Waffenstillstand" zu besprechen gibt. Weil - "Waffenstillstand" bedeutet "Einfrieren des Status Quo", und daran ist weder Rußland noch der Ukraine gelegen. Darüber hinaus, so sehr ich es auch hasse, Frau von der Leyen zu zitieren: "Wenn Rußland aufhört zu kämpfen, ist der Krieg vorbei. Wenn die Ukraine aufhört zu kämpfen, wird es keine Ukraine mehr geben" - da sich die Ukraine meiner Wahrnehmung nach weitestgehend mit Angriffen auf russischem Boden zurückgehalten hat (Angriffe auf Munitionsdepots oder militärische Stellungen klammere ich bewußt aus), halte ich diese Einschätzung zumindest nicht für völlig verkehrt.

"Die Geschichte des Krieges beginnt für sie am 24. Februar, und der einzig relevante Tatbestand ist der russische Angriff. Auf sie trifft die Feststellung von Anne Morelli zu (»Die Prinzipien der Kriegspropaganda«, 2001): »Die Schaffung eines geradezu hypnotischen Zustandes, in dem sich die gesamte Bevölkerung im tugendhaften Lager des gekränkten Gutmenschen wähnt, entspricht wahrscheinlich einem pathologischen Bedürfnis."
Ich sag's mal so: wenn dem so wäre, dann würde man nicht zögern, die Ukraine mit bestimmten Waffentypen auszustatten. Das Mißtrauen gegen Herrn Selenskyj kommt nicht von ungefähr, sondern fußt in den Ereignissen in der Ukraine und seinem Umfeld vor Februar 2022.

Skywise(R)

26.09.2022, 21:26

@ Skywise
 

Propaganda gegen Kriegsmüdigkeit

"Hat man in Deutschland bis vor 20 Jahren noch eine zurückhaltende Einstellung gegenüber militärischer Expansion und Konfliktlösung beobachten können, dominiert inzwischen eine Einschränkung des Denk- und Sehfeldes."
Es gibt einen Journalisten/Autor, dessen Namen ich sehr bewußt aus meinem Gedächtnis gestrichen habe. Dieser hat sich zu Zeiten der Abrüstungsgespräche sinngemäß darüber ausgelassen, daß die Friedensbewegung in Deutschland erstens auf sehr fruchtbaren Boden fiel, weil man sich im Schatten mächtiger Waffen wähnte, die einem um die eigenen Ohren fliegen konnten, und zweitens Mitstreiter auf der anderen Seite fand, weil man sich im Schatten mächtiger Waffen wähnte, die der anderen Seite um die Ohren fliegen konnten. Zu Zeiten von Glasnost kam aus dieser Ecke der Aufruf, sich mittelfristig wieder über Militär Gedanken zu machen, und sei's auf europäischer Ebene, da der Europäische Binnenmarkt und die absehbare Europäische Union, so sie sich (nicht nur auf wirtschaftlicher Ebene) als europäisches Gegenstück zu den Vereinigten Staaten etablieren wollte, eine Möglichkeit zur Verteidigung benötigte, da davon auszugehen war, daß die EU und die USA und gegebenenfalls die Nachfolgeeinrichtungen der UdSSR nicht dauerhaft dieselben Interessen vertreten würden. Die "zurückhaltende Position" ergab sich eher aus der Historie heraus und dem Komfort, daß ein Dritter schon dafür sorgte, daß böse Jungs nicht auf die Idee kamen, ihre Konflikte auf europäischem Boden auszutragen.
Ich bin davon überzeugt, daß eine Konfliktlösung auf diplomatischem Weg immer noch der beste ist. Im Augenblick sehe ich aber im Fall der Ukraine keinen Punkt, an dem man wirklich einhaken und die Verhandlungen "erzwingen" könnte. Ganz im Gegenteil darf ich mir anhören, wie eine der beiden Seiten sogar offen das Thema Nuklearwaffen anspricht, um den Westen auf Distanz zu halten, was ich nicht als "Gesprächsbereitschaft" deute, so sehr diese Äußerungen auch mit Kommunikation zu tun haben.

"Davon ist gegenwärtig die öffentliche Meinungsbildung geprägt, die durch Dämonisierung, Aufrüstung und Waffenlieferungen den Feind zu vernichten trachtet (und der neue ist schon im Visier) – und dabei nicht die hohen wirtschaftlichen und menschlichen Kosten wahrzunehmen bereit ist."
"Dämonisierung" - wenn "Dämonisierung" bedeutet, daß man Herrn Putin kein Verständnis für sein Handeln und dessen Folgen entgegenbringt, okay, einverstanden, dann wird er "dämonisiert". Tatsächlich empfand ich es allerdings über weite Strecken gerade der ersten Wochen so, als ob man mit Herrn Putin die größten Hoffnungen auf Beendigung des Kriegs verbunden hat. Die "Aufrüstung", die ich in der Ukraine wahrnehme, betraf größtenteils die Verteidigung der Ukraine, nicht die Unterstützung von Angriffsplänen auf Rußland, insofern kann man auch nicht von einer "Vernichtung des Feindes" sprechen. Die Aufrüstung in Deutschland sehe ich eher als folgerichtiges Handeln an, nachdem man mehr oder weniger ratlos war, wie man auf den Einmarsch Rußlands in die Ukraine umgehen konnte und wollte, bzw. mit der Überlegung, was eine Niederlage der Ukraine für Folgen haben könnte.

"Realistische Konzepte verschiedener Institutionen zu friedlichen Lösungen wurden und werden nicht einmal veröffentlicht, geschweige denn politisch diskutiert."
... welche da wären ...?
Nicht realistische Konzepte brauchen nicht politisch diskutiert zu werden, und realistische Konzepte scheinen tatsächlich Mangelware zu sein; ich habe ehrlich gesagt in jüngerer Zeit keine gelesen, die nicht von irgendwelchen "Wenns" und "Abers" entkräftet worden wären, und auch andere Stellen im Netz machen gerne den zweiten Schritt vor dem ersten, indem sie von "Gesprächen" oder "Verhandlungen" sprechen, als sei die (bestenfalls bedingungslose) Bereitschaft dazu von beiden Seiten klar signalisiert worden.

Skywise(R)

26.09.2022, 21:26

@ Skywise
 

Propaganda gegen Kriegsmüdigkeit

"Auch der Gegner fühlt sich bedroht, betont Kempf; das suchte Putin dem Westen seit 20 Jahren verständlich zu machen, zuletzt noch in einem Beitrag für die Zeit zum 80. Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion (vgl. Leo Ensel, NachDenkSeiten, 29.6.21) – ein Vernichtungskrieg, dem 27 Millionen Menschen zum Opfer fielen."
Nun, sagen wir: in Tschetschenien ('99) oder Georgien ('08) konnte Herr Putin dem Gefühl der Bedrohung seiner Bevölkerung recht konsequent entgegenwirken, und für Unterstützungsleistungen in Syrien hat es anno '15 ebenfalls noch gereicht. Und in meinen wirklich garstigen Stunden habe ich auch schon einmal argumentiert, daß Herr Putin mit der Annexion der Krim und mit Unterstützung der Separatisten im Donbass exakt den Nationalismus in der Ukraine befeuert hat, dessen Oberfläche er '22 dazu verwendet hat, einen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu rechtfertigen, obwohl dieses Land meiner Wahrnehmung nach keine drohende Haltung eingenommen hat, eigentlich habe ich es sogar aufgrund des jahrelangen Bürgerkriegs eher als tendenziell geschwächt bis kampfesmüde wahrgenommen. Was sich wahrscheinlich mit der Einschätzung von Herrn Putin gedeckt hat. Womit ich ebenso falsch gelegen hätte wie er.

"Fordern wir also: Waffenstillstand! Verhandlungen! Abrüstung und gegenseitige Sicherheitsgarantien!"
Wird ja von mehreren Seiten gemacht, aber wie gesagt: die Gesprächsbereitschaft der Kriegsparteien ist aktuell nicht gegeben. Und ehrlich gesagt kann ich das durchaus verstehen.

Gruß
Skywise

wmeyer(R)

26.09.2022, 23:51

@ Skywise
 

Propaganda gegen Kriegsmüdigkeit

Danke, Skywise,

so ausführlich, detailreich und treffend hätte ich es auf keinen Fall gekonnt.

Herzliche Grüße
Wolfgang

---
So eigensinnig widersprechend ist der Mensch: zu seinem Vorteil will er keine Nötigung, zu seinem Schaden leidet er jeden Zwang. (Johann Wolfgang von Goethe)

In der Natur gibt es weder Belohnungen noch Strafen. Es gibt Folgen.
(Robert Green Ingersoll)

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