Wir wissen, dass alles was kommt, auch wieder geht (Gundermann)
Ich habs noch nicht ganz kapiert. Es war das letzte Konzert in der Tante Ju... die Randgruppencombo wird hier nie wieder spielen. Ich bin untröstlich und doch weine ich nicht, das hab ich ein wenig verlernt, stattdessen singe ich alle Texte mit und vor allem auch die wunderschöne Begleitung, die ich auch schon auswendig kann, trotz drei Jahren Pause, die Saxophon- , Akkordeon-, Querflöten- und Flötenstimmen, die die Lieder von Gundermann in ihrer einzigartigen Schönheit betonen, ohne ihren Charakter zu verändern.
Der Applaus ist riesig, schon beim Einlaufen der Band. Und das ostdeutsche Publikum macht seinem Namen alle Ehre. StaccatoKlatschen nach jedem Stück, als müsse man sich schon jetzt eine Zugabe erklatschen. Jede Zeile wird mitgesungen. Vor lauter Applaus kommt der Bandchef kaum zu Wort, und doch hört man ihm dann immer wieder sehr genau zu, wenn er zum Beispiel erzählt, wie es zur Gründung der Band kam. Und bestellt wird von Marcus die Story vom Tübinger Uniklinikumschef, der die Textzeile "Immer wieder wächst das Gras" sehr gründlich missverstand, dachte, es sei von Joints die Rede, ein heissgeliebter Witz in Tüten, den wir immer wieder hören können - und hier ganz besonders, wo die durch den Tagebau gerissenen Wunden in der Erde so nah sind, und es so wichtig ist, dass Gras und Seen sie wieder schliessen, wo immer noch Dörfer fürchten müssen, dass sie von den Baggern und unserer Gier nach Braunkohle verschlungen werden.
Zwei aus Thüringen gelingt es, die Gefühle der RGC-Fans meisterhaft in Worte zu fassen, sie nutzen teils Gundis Worte, das trifft uns umso heftiger... Nancy und Jörg Simon tragen die T-Shirts der Abschiedsstunde am Körper, selbstgeplant, wunderbar treffend: "Ihr seid in mein Herz gefallen" steht da, "Eine kleine leise Traurigkeit bleibt wohl jetzt für immer bei mir" und "Das letzte Mal on tour mit der Randgruppencombo", "immer wieder und nie genug", "Danke für diese geile Zeit", "2000 bis 2022". Eine schönere Hommage an die Band ist kaum denkbar, und so liest Tini Stiefelmayer, die Geigerin mit der wunderschönen roten Haarmähne, die Botschaften auch für alle vor (auf ihrem T-Shirt steht "Violinists against violence", auch eine grossartige Botschaft).
Der Rest des Publikums drückt seine Dankbarkeit und seinen Respekt ganz nonverbal mit ausgedehntem Applaus und vor allem dynamisch aus. Mitten im Getümmel, und das herrscht im gesamten Saal, ist es nicht nur extrem heiss, sondern auch ohrenbetäubend laut im allerfeinsten Sinne des Wortes. Kaum zu glauben, dass bei den ersten Konzerten eigentlich Eier und Tomaten auf die Band warteten. Stattdessen: Der Bandchef und seine grossartigen Musiker sind immer noch hoch erfreut und tief berührt durch ihr ostdeutsches Publikum, das ist ihnen anzusehen. Heiner Kondschak lauscht gelegentlich fasziniert den Gesängen seines Publikums, für ihn inzwischen schon noch vertraut, aber nach einer dreijährigen Pause alles andere als alltäglich.
Der Kontakt zwischen Band und Publikum ist einmalig, die Empfindsamkeit auf beiden Seiten, bei Heiner und Co wie auch beim ostdeutschen Publikum, tief und ganz von Herzen. Es begann auf Augenhöhe, wie der Frankfurter Journalist Henry-Martin Klemt einst schrieb... Heute sind Publikum und Band wie alte Freunde, und der Bassist Gerd Ritter aus Stuttgart bekommt ganz selbstverständlich gute Besserung gewünscht, als Heiner Kondschak erzählt, dass Gerd wegen Long Covid abends immer zusammenklappt und so einfach nicht spielen kann. Ebenso wird ein neues Bandmitglied und sein WaldhornEinsatz bei "Drachentöters Vater" (ja! So schön!) begeistert gefeiert.
Irgendwann naht der Abschied, und da sind die GundermannFans leider Profis, seitdem ihr geliebter Rockpoet 1998 viel zu früh und sehr plötzlich starb. Ganz zum Schluss folgen "Der fliegende Fisch" und zuallerletzt "Weisstunoch", mit den Textzeilen: "Wir wissen, dass alles was kommt, auch wieder geht, warum tut es dann immer wieder und immer mehr weh yeahyeahyeahyeah".
Heute ist es ein Abschiedslied, ein Herbstlied mitten im August....💖 Danke an Heiner Kondschak, an Uschi Berberich, an Heike Rügert, an Tini Stiefelmayer, an Rupert Hausner, an Hanna Marx, an Gerd Ritter und Christian Lindner, an Ester Daniel, an Jonathan Gray und den neuen Heiner (Krause), an alle, die sonst unterstützt haben, Techniker, Autofahrer, Packhelfer, an den coolen Schuppen Tante Ju und an das textsichere, liebevolle ostdeutsche Publikum 💖 Und Danke auch an Gundolf Zimmermann, unseren Kundi, der immer wieder grossartige Berichte über die Konzerte der RGC geschrieben hat, und der dieses Konzert nicht mehr erleben durfte. Ich habe gestern abend oft an ihn gedacht.
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- Wir wissen, dass alles was kommt, auch wieder geht - Christine, 21.08.2022, 21:27