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Sarah(R)

21.08.2022, 15:11
 

Alles.Scheizse: Rumbrüllen zu Techno-Beats (Musik)

Interview mit dem Satire-Rap-Duo Alles.Scheizse
Mit ihrem Song „Slava Ukraini!“ hat das Berliner Rap-Duo im Mai dieses Jahres für Aufmerksamkeit gesorgt. „Ein Volk, eine NATO, eine Werteunion – sie reicht von Annalena Baerbock bis zum ‚Asow‘-Bataillon“, heißt es darin. Das reicht natürlich für einen Auftritt auf dem Presse­fest – und ein UZ-Gespräch: http://www.unsere-zeit.de/rumbruellen-zu-techno-beats-171583/

wmeyer(R)

22.08.2022, 01:24

@ Sarah

Alles.Scheizse: Rumbrüllen zu Techno-Beats

Wenn uns solche Texte zur Seite stehen, braucht uns um die Lösung der Probleme wahrlich nicht bange zu sein.

Mit Gruß
Wolfgang

---
So eigensinnig widersprechend ist der Mensch: zu seinem Vorteil will er keine Nötigung, zu seinem Schaden leidet er jeden Zwang. (Johann Wolfgang von Goethe)

In der Natur gibt es weder Belohnungen noch Strafen. Es gibt Folgen.
(Robert Green Ingersoll)

Beate(R)

22.08.2022, 08:06

@ wmeyer

Alles.Scheizse: Rumbrüllen zu Techno-Beats

» Wenn uns solche Texte zur Seite stehen, braucht uns um die Lösung der
» Probleme wahrlich nicht bange zu sein.
»
» Mit Gruß
» Wolfgang

Es ist ein Satire-Rap-Duo!

Ich habe meine 7-bändige Tucholsky-Ausgabe aus der DDR zu Rate gezogen:

Kurt Tucholsky (alias Ignaz Wrobel): "Was darf die Satire?"
- aus der Berliner Tageblatt, Nr. 36, vom 27.01.1919 -

Wenn einer bei uns einen guten politischen Witz macht, dann sitzt halb Deutschland auf dem Sofa und nimmt übel.

Satire scheint eine durchaus negative Sache. Sie sagt: „Nein!“ Eine Satire, die zur Zeichnung einer Kriegsanleihe auffordert, ist keine. Die Satire beißt, lacht, pfeift und trommelt die große, bunte Landsknechtstrommel gegen alles, was stockt und träge ist.

Satire ist eine durchaus positive Sache. Nirgends verrät sich der Charakterlose schneller als hier, nirgends zeigt sich fixer, was ein gewissenloser Hanswurst ist, einer, der heute den angreift und morgen den.

Der Satiriker ist ein gekränkter Idealist: er will die Welt gut haben, sie ist schlecht, und nun rennt er gegen das Schlechte an.

Die Satire eines charaktervollen Künstlers, der um des Guten willen kämpft, verdient also nicht diese bürgerliche Nichtachtung und das empörte Fauchen, mit dem hierzulande diese Kunst abgetan wird.

Vor allem macht der Deutsche einen Fehler: er verwechselt das Dargestellte mit dem Darstellenden. Wenn ich die Folgen der Trunksucht aufzeigen will, also dieses Laster bekämpfe, so kann ich das nicht mit frommen Bibelsprüchen, sondern ich werde es am wirksamsten durch die packende Darstellung eines Mannes tun, der hoffnungslos betrunken ist. Ich hebe den Vorhang auf, der schonend über die Fäulnis gebreitet war, und sage: „Seht!“ – In Deutschland nennt man dergleichen ‚Kraßheit‘. Aber Trunksucht ist ein böses Ding, sie schädigt das Volk, und nur schonungslose Wahrheit kann da helfen. Und so ist das damals mit dem Weberelend gewesen, und mit der Prostitution ist es noch heute so.
(...)
Der einzige ‚Simplicissimus‘ hat damals, als er noch die große, rote Bulldogge rechtens im Wappen führte, an all die deutschen Heiligtümer zu rühren gewagt: an den prügelnden Unteroffizier, an den stockfleckigen Bürokraten, an den Rohrstockpauker und an das Straßenmädchen, an den fettherzigen Unternehmer und an den näselnden Offizier. Nun kann man gewiß über all diese Themen denken wie man mag, und es ist jedem unbenommen, einen Angriff für ungerechtfertigt und einen anderen für übertrieben zu halten, aber die Berechtigung eines ehrlichen Mannes, die Zeit zu peitschen, darf nicht mit dicken Worten zunichte gemacht werden.

Übertreibt die Satire? Die Satire muß übertreiben und ist ihrem tiefsten Wesen nach ungerecht. Sie bläst die Wahrheit auf, damit sie deutlicher wird, und sie kann gar nicht anders arbeiten als nach dem Bibelwort: Es leiden die Gerechten mit den Ungerechten.

Aber nun sitzt zutiefst im Deutschen die leidige Angewohnheit, nicht in Individuen, sondern in Ständen, in Korporationen zu denken und aufzutreten, und wehe, wenn du einer dieser zu nahe trittst. Warum sind unsere Witzblätter, unsere Lustspiele, unsere Komödien und unsere Filme so mager? Weil keiner wagt, dem dicken Kraken an den Leib zu gehen, der das ganze Land bedrückt und dahockt: fett, faul und lebenstötend.

Nicht einmal dem Landesfeind gegenüber hat sich die deutsche Satire herausgetraut. Wir sollten gewiß nicht den scheußlichen unter den französischen Kriegskarikaturen nacheifern, aber welche Kraft lag in denen, welch elementare Wut, welcher Wurf und welche Wirkung! Freilich: sie scheuten vor gar nichts zurück. Daneben hingen unsere bescheidenen Rechentafeln über U-Boot-Zahlen, taten niemandem etwas zuleide und wurden von keinem Menschen gelesen.

Wir sollten nicht so kleinlich sein. Wir alle – Volksschullehrer und Kaufleute und Professoren und Redakteure und Musiker und Ärzte und Beamte und Frauen und Volksbeauftragte – wir alle haben Fehler und komische Seiten und kleine und große Schwächen. Und wir müssen nun nicht immer gleich aufbegehren (‚Schlächtermeister, wahret eure heiligsten Güter!‘), wenn einer wirklich einmal einen guten Witz über uns reißt. Boshaft kann er sein, aber ehrlich soll er sein. Das ist kein rechter Mann und kein rechter Stand, der nicht einen ordentlichen Puff vertragen kann. Er mag sich mit denselben Mitteln dagegen wehren, er mag widerschlagen – aber er wende nicht verletzt, empört, gekränkt das Haupt. Es wehte bei uns im öffentlichen Leben ein reinerer Wind, wenn nicht alle übel nähmen.

So aber schwillt ständischer Dünkel zum Größenwahn an. Der deutsche Satiriker tanzt zwischen Berufsständen, Klassen, Konfessionen und Lokaleinrichtungen einen ständigen Eiertanz. Das ist gewiß recht graziös, aber auf die Dauer etwas ermüdend. Die echte Satire ist blutreinigend: und wer gesundes Blut hat, der hat auch einen reinen Teint.

Was darf die Satire?

Alles.

wmeyer(R)

23.08.2022, 02:05

@ Beate

Alles.Scheizse: Rumbrüllen zu Techno-Beats

Liebe Beate,

das hast Du alles für mich abgetippt? Respekt.

Fangen wir hinten an:

» Was darf die Satire?
»
» Alles.

Gewiß. Solange es Satire ist.

Da aber heutzutage "Anstand" zu den vom Aussterben begriffenen Worten und Prinzipien gehört, scheint der Glaube verbreitet, daß Alle immer Alles dürfen.

Das merke ich hier nur wegen des Tucholsky-Textes an - mit unserem eigentlichen Diskussionspunkt hat das nichts zu tun.

Aber dies:

» Wenn einer bei uns einen guten politischen Witz macht, dann sitzt halb
» Deutschland auf dem Sofa und nimmt übel.

Es scheint unscheinbar, aber dieser Satz enthält das Wort "gut" (bzw. "guten").

Und da hakt _meine_ Satire ein:

Es ist den Künstlerinnen und Künstlern unbenommen, ihre eigene Ratlosigkeit über diese belämmerte politische Situation auf die dargestellte Weise zum Ausdruck zu bringen. Ich gönne ihnen auch das Publikum, das sich damit schenkelklopfend unterhält.

Wenn dies allerdings von Redakteuren als druckwürdiges Kulturgut angesehen wird, dann beschleichen mich gewisse Zweifel. Und wenn dann noch jemand meint, dies vielen Mitmenschen zur unbedingten Kenntnisnahme empfehlen zu müssen, dann gerate ich zusehends in Ratlosigkeit bzgl. der Nachhaltigkeit der Epoche der Aufklärung.

Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang

---
So eigensinnig widersprechend ist der Mensch: zu seinem Vorteil will er keine Nötigung, zu seinem Schaden leidet er jeden Zwang. (Johann Wolfgang von Goethe)

In der Natur gibt es weder Belohnungen noch Strafen. Es gibt Folgen.
(Robert Green Ingersoll)

Beate(R)

24.08.2022, 02:00

@ wmeyer

Alles.Scheizse: Rumbrüllen zu Techno-Beats

Hallo Wolfgang,

es zeigt sich wieder einmal; über Kunst und Kultur läßt sich trefflich streiten. Auf jeden hat sie eine subjektiv andere Wirkung und über Geschmack kann man lange diskutieren. Aber gerade das ist ja auch der Sinn derselben. Und mit dieser Diskussion hat sie auch schon einen Teil dessen erfüllt.
Ich muß gestehen, es fällt mir schwer, den Stab über die Veröffentlichung des Interviews durch die Zeitung und über Sarah zu brechen.

Warum?

In einer Gesellschaft mit dem Anspruch auf Pluralität der Meinungen kann ich die Medien meiner Meinung nach nicht persönlich für die Aussagen des Interviewten verantwortlich machen. Wenn der Spiegel und die Zeit oder auch die Süddeutsche Zeitung einen AfD-Politiker interviewen, dann unterstelle ich ihnen auch nicht, konform mit den Ausführungen des Genannten zu gehen. So kann ich dieses auch nicht bei der UZ.
In dem Interview mit der Satire-Gruppe werden die hohlen Sprechblasen, die tagtäglichen medialen Versatzstücke der gegenwärtigen politischen Debatten bewußt satirisch überspitzt und damit zum Nach- und Überdenken des öffentlich Verlautbarten durch den Konsumenten angeregt. Beim Googeln der einzelnen Begriffe ist wirklich auffällig, das diese fast alle durch Politiker und Medien in der letzten Zeit entsprechend verwendet wurden. Satire soll und muß bissig sein. In dem Interview werden sie bewußt absichtlich ins ironisch lächerliche gezogen, um die Absurdität der Äußerungen durch Politik und Medien bewußt zu machen.

Pfeffi schrieb vollkommen richtig an Sarah im März diesen Jahres: "Ich bin mir sicher, dass auf den Kabarettbühnen im Lande (sofern nicht durch Corona ausgebremst) ganz anderes zu hören ist: bissiger, treffender, gesellschaftskritischer, ironischer. Ob es Vorgaben der Sender gibt oder die Kabarettisten hier Selbstzensur üben weiß ich nicht. Zumindest ist es auffällig, dass bestimmte kritische Kabarettisten nicht mehr oder nur noch selten im TV vorkommen, während banale Comedy weiter gesendet wird. Keine gute Entwicklung."

Das Nahost-Forum Bremen (AK Nahost Bremen) schreibt über die Künstler: "Vorsicht Satire: Alles.Scheizse sahen sich auf der Künstler-Konferenz der M&R vom 8. Juni im Heimathafen Neukoelln gezwungen, »kritisch zu intervenieren«: Die Band hat einen Live-Song mit einer unmissverständlichen Botschaft performt: Revolution ist Quark und abgesagt, also muss die Linke sich weiter in den transatlantischen Konsens der BRD einfügen. Denn wie zentrale Denker der Kritischen Theorie, Marx, Adorno, Broder und Trump, schon immer wussten: »Gegen den Faschismus steht das Kapital – der Kampf um Befreiung ist neoliberal!«
Alles.Scheizse sind die ideologiekritischste Antifa-Musikgruppe der Welt und verteidigen den liberalen Westen und seine Kriege für die Zivilisations-Wahrung gegen die fiesen Kommunisten, Moslems und andere Nazis. Ihre Waffen: Inflationär gebrauchte Antisemitismus-Vorwürfe, bürgerlicher Hedonismus und dumpf-deutscher Elektropop."


Du schreibst über das Interview: "Wenn dies allerdings von Redakteuren als druckwürdiges Kulturgut angesehen wird, dann beschleichen mich gewisse Zweifel. Und wenn dann noch jemand meint, dies vielen Mitmenschen zur unbedingten Kenntnisnahme empfehlen zu müssen, dann gerate ich zusehends in Ratlosigkeit bzgl. der Nachhaltigkeit der Epoche der Aufklärung."

Du bringst das im Zusammenhang mit dem Begriff "Anstand".
Für mich ist es nicht nur unanständig, sondern schlicht bösartig, feindselig und abstoßend, wenn die deutsche Außenministerin gänzlich undiplomatisch haßerfüllt erklärt, sie wolle mittels Sanktionen "Russland ruinieren" mit seiner Bevölkerung; wenn russische Künstler in Deutschland Auftrittsverbot erhalten (ganz egal, ob sie für oder gegen Putins Politik sind), wenn diskutiert wurde, die Werke von Dostojewski, Tolstoi, Gorki, Gogol, Turgenjew und Scholochow nicht mehr zu verlegen und zu verkaufen, russische Komponisten klassischer Musik wie Prokofjew, Strawinsky, Schostakowitsch, Rimski-Korsakow, Mussorgski und Tschaikowski nicht mehr gespielt werden sollen.
"Satiriker" wie der reaktionär-konservative Dieter Nuhr mit seinen herabsetzenden frauenfeindlichen Äußerungen ist für mich unanständig oder diverse "Comedians" mit ihrem anzüglichen sinnfreien Nonsens.
Es ist unanständig, den Menschen tagtäglich den Waschlappen statt des Duschens ans Herz zu legen, für den "Frieden zu frieren" in der Wohnung, die Reichen, die Konzerne, die Kriegsgewinnler dieser Gesellschaft nicht zur Solidarität mit den sozial Schwachen mit einer Übergewinnsteuer zu zwingen.

wmeyer(R)

25.08.2022, 01:06

@ Beate

Alles.Scheizse: Rumbrüllen zu Techno-Beats

Liebe Beate,

» es zeigt sich wieder einmal; über Kunst und Kultur läßt sich trefflich
» streiten.

das kann man. Aber man kann es auch lassen.
Jedenfalls hier. Aus Gründen.

» es fällt mir schwer, den Stab über die Veröffentlichung
» des Interviews durch die Zeitung und über Sarah zu brechen.

Bitte informiere Dich über die Bedeutung dieser Redewendung.

» Du bringst das im Zusammenhang mit dem Begriff "Anstand".

Nein, dies habe ich gerade ausdrücklich _nicht_ getan.

Mit freundlichem Gruß
Wolfgang

---
So eigensinnig widersprechend ist der Mensch: zu seinem Vorteil will er keine Nötigung, zu seinem Schaden leidet er jeden Zwang. (Johann Wolfgang von Goethe)

In der Natur gibt es weder Belohnungen noch Strafen. Es gibt Folgen.
(Robert Green Ingersoll)

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