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Christine(R)

27.09.2018, 16:50
 

"Ein Stückchen Himmel" von Bernd Rump (Musik)

„ Lieder als Lebens-Mittel“ sagte Gerhard Gundermann in einem der frühen Schütt-Interviews. Nicht nur Gundermanns Lieder, sondern auch viele andere Lieder, die damals und heute landauf landab entstanden oder entstehen, braucht der Mensch wie Brot und Wasser. Um aufzutanken, um glücklich zu sein, um berührt zu werden, um Dinge neu zu sortieren, um wieder zu wissen, was wichtig ist. Sie sind vergleichbar mit dem Anblick einer schlafenden Katze auf einer alten Mauer oder mit einem Bad in einem Bergsee, das einem erfrischt. Für ein paar Stunden haben Macht und Geld und Ellenbogen Pause. Und dann kann es passieren, dass einem die Tränen über das Gesicht laufen.
Solche Lieder kann Bernd Rump schreiben. Und das nicht erst seit gestern. Er gehörte zur Gruppe Schicht, oder anders genannt auch zum Schichttheater, zu der bedeutenden Lied- und Theatergruppe aus Dresden. Denn der Osten bestand eben nicht nur aus Stasi und Ausbürgerung, toller Literatur und alten miefigen Stalinisten, die jede Veränderung blockierten. Es gab viele Künstler, die ihr Land nicht verlassen wollten, die es dann aber mit den Machthabern nicht leicht hatten.
Zu den Fehlern der Wendezeit gehört eindeutig, dass wir Wessis uns um diese Künstler meist nicht so scherten. Wir kennen sie meist nicht, wir bemühten uns meist nicht um sie. Wir hör(t)en sie nicht, wir besuch(t)en nicht ihre Theaterstücke. Ein Symptom für eine Vereinigung, die zu wenig auf Augenhöhe stattfand. Wir wissen teilweise nicht einmal, dass es diese Künstler gibt oder gab. Wer kennt im Westen Tamara Danz mit ihrer einzigartigen Stimme? „Traumpaar“ heißt ein Lied der Gruppe Silly, das diese Vereinigung ganz gut beschreibt. Dazu kommt der Siegeszug der populären Musik in den meisten Radiosendern in Ost und West, der auch gewaltig dazu beitrug, dass Leute, die ernsthafte Lieder machen, nur noch wenig Beachtung finden.

Wir würden sonst vielleicht die Regenbogenlieder der Gruppe Schicht kennen. Wir wüssten vielleicht, dass die Gruppe auch Gastspiele in anderen europäischen Ländern gab, das sie auch mal in der Bundesrepublik auftrat. Wir wüssten, dass sie aus einer studentischen Singegruppe an der Universität entstand und später sogar ein eigenes Theater hatte. Die Gruppe war Vorreiter des politischen Liedes in der DDR und durchaus auch Vorbild für die Brigade Feuerstein und Gerhard Gundermann. Bernd Rump war der hauptsächliche Texter der Gruppe. Im Juni ist er 71 Jahre alt geworden. Heute singt er über diese Zeit berührende Worte. „Das Land kannst du vergessen! Ich hab‘ es nie besessen. Doch den Traum. Kaum“.
Zu seinem Geburtstag hat er eine neue CD herausgegeben, mit wirklich sage und schreibe 22 Liedern. Hartmut Helms, bekannter Ostrock-Buchautor, hat über das Release-Konzert bereits eine sehr berührende Kritik geschrieben. Warum dann noch einmal etwas über die neue CD schreiben? Vielleicht weil man aus Westsicht noch einen anderen Blick haben könnte?

Christine(R)

27.09.2018, 16:51

@ Christine

"Ein Stückchen Himmel" von Bernd Rump

Vielleicht hat man den, ja. Eigentlich vor allem den: Dass es so schade ist, dass diese Musik, die Texte, die Melodien nicht bekannter sind und nicht mehr Leute erreichen, eben auch in unseren Landen weiter westlich hier. „Ein Stückchen Himmel“ heißt die neue CD. Und in diesem Himmel ist nichts, wie es scheint, die Glut ist kalt, nichts ist wirklich groß, der Tank läuft leer, nichts wird wirklich gut, und es wächst der Krieg. Kommt uns dieses Stückchen Himmel nicht bekannt vor? 2017 wurde das Lied geschrieben, das klingt so, als hätte Bernd Rump in die Zukunft schauen können und das Jahr 2018 vorhergesehen, in dem sich die neoliberale Gesellschaft noch weiter spaltet. Bernd Rump hat diese CD nicht allein gemacht, sondern viel Unterstützung von einigen WunderbunTden bekommen. WunderbunTd e.V., das ist eine begabte Musiktruppe aus Freiberg in Sachsen, die eigene Programme, aber auch eine Rio-Reiser-Nacht sehr erfolgreich auf die Bühne gebracht hat. Isolde Lommatzsch begleitet Bernd Rump gekonnt auf dem Klavier, aber übernimmt auf dieser CD zusätzlich viele Gesangspartien, wie ebenso bei einem Lied auch Jens Lommatzsch. Ihr Gesang ist ein toller Kontrapunkt zu Bernd Rumps eindringlichem Gesang. Eine musikalische Liasion vom Feinsten.
Bernd Rump singt im Grunde genau wie Gundermann auch für Randgruppen. Oder man könnte sagen, er singt der kleinen Leute Lied, wie der Leipziger Liedermacher Hisztory. Und hier kommt jetzt meine ganz persönliche Sicht aus dem Westen: In dieser Disziplin ist man im Osten absolut einfach nicht zu toppen. Und deshalb fahre ich auch gerne immer wieder 700 km hin und nochmal 700 km zurück, um solche Lieder hören zu können. Rump singt für diejenigen, die es berührt, wenn ein kleiner Mensch elternlos von Heim zu Heim geschoben wird. „Als das Kind geboren war“ erzählt davon, wie an einem fremden Tisch das Brot so bitter schmeckt. Zu dieser Gruppe Lieder gehört auch das Lied des Gauklers und das Lied „Blaulicht“ über einen Alkoholkranken. Der „Soldier“ liegt da und fragt, „Mensch, Vater, wozu hast du mich behütet, Mutter, wozu hast du mich geboren? Ich liege hier in einen Sack getütet“ - ein absolut überzeugendes Kriegslied, das schnürt einem den Hals zu. Ein Lied gibt es für die Vogtländer Schauspielerin und Theatergründerin Caroline Neuberin, die bitter arm im 18. Jahrhundert in Laubegast starb und in Dresden begraben liegt. Das kann nur ein echter Theatermensch, ihre Lebensgeschichte so einfühlsam und wunderschön in ein Lied bringen.
Sehr viele Lieder auf der CD bieten sich als Lieblingslieder an, ähnlich wie bei Gundermann. „Der Mann in dem Boot“ mit einer unglaublich schönen Melodie und Klavierbegleitung erzählt vom „Weg, der das Ziel ist“, nur der Fluss lenkt das Boot, kein Mast oder Ruder…Oder die „Amerika-Ballade“: Wunderschöne Melodien, von Rump und Lommatzsch gesungen. „Brüder, wo ist das Amerika? Der Traum, der ist doch zum Greifen nah. Amerika, gleich sind wir da“. Es gibt ein Lebenslied und ein Siebenlied mit der musikalischen Fassung von Isolde Lommatzsch, frech, lebendig, wunderschön.
Wenige schon bekanntere und ältere Lieder sind auch auf der CD zu hören: „Nach Norden“ zum Beispiel. Bernd Rumps lebendige und engagierte Vortragsweise habe ich sofort vor Augen, wenn ich seine CD höre. Da könnte sich so mancher Junge was abschauen, hab ich gleich gedacht, als ich ihn erstmals hörte. Aber in jedem Fall sind seine Lieder die Lieder eines reifen weisen Mannes. „Was ich mir noch wünschen möchte. Einen Becher Freundlichkeit, das auch tief verzagte Herzen tauen mit der Zeit“, singt dieser. Er singt auch von der späten Liebe und der goldenen Hochzeit, und das klingt bei Bernd Rump erwartungsgemäß alles andere als oberflächlich und nach Gemeinplätzen, sondern berührt zutiefst.
„Kling klang, das ist mein erster und letzter Gesang“, heißt es im allerletzten Lied auf der CD, ein wunderbarer runder Abschluss. Absolut glaubhaft ist, dass diese Lieder den vorhin schon erwähnten versierten Ostmusik-Experten zu Tränen gerührt haben. Nicht nur ihn. Solche Lieder sind ein Stückchen Himmel auf Erden, aber eines das hält, was es verspricht. Und solche Lieder bräuchte es viel mehr, auch bei uns weiter westlich.

Christine(R)

27.09.2018, 16:51

@ Christine

"Ein Stückchen Himmel" von Bernd Rump

Darf ich einen Wunschzettel schreiben? Da käme darauf: Eine Neuauflage der Regenbogenlieder auf CD, ein Liederbuch mit Liedern aus dem Schichttheater, eines mit neuen Liedern von Bernd Rump. Noch mehr Musik vom Schichttheater auf CD. Und dass Bernd Rump noch lange und viele Texte schreiben wird. Und dass wir alle diese Texte und Melodien nicht aus den Augen verlieren, niemals.
Nicht alles ist möglich. Aber einen Tipp gibt es: Ältere Lieder von Bernd Rump finden sich z.Bsp. in alten LTLs, wer die noch hat!
Zur Erinnerung noch zwei Lieder von Bernd Rump und Jürgen Magister, die Conny Gundermann hier singt. In ihrer Ansage wird deutlich, wie bedeutsam Bernd Rumps und Jürgen Magisters Lieder für sie und bestimmt für viele andere auch waren. Das eine ist das „Siebenlied“ aus dem Musical P 16 der Gruppe Schicht, das andere eines von mehreren Lebensliedern, die Bernd Rump geschrieben hat.
https://www.youtube.com/watch?v=fuMk2DReLa4

https://www.youtube.com/watch?v=fx1fly4decA&t=4s

Pfeffi(R)

27.09.2018, 22:25

@ Christine

"Ein Stückchen Himmel" von Bernd Rump

Liebe Christine,
da gebe ich dir absolut recht, eine CD von Schicht und ein Liederbuch dazu. Das Problem ist aber ein allgemeines: In der DDR waren LP-Kapazitäten knapp, und Lied/Folk war nunmal nicht Mainstream, da wurde viel zu wenig produziert. Dazu kam die Zensur, d.h. vieles war zu kritisch für eine Plattenproduktion (ich denke da z.B. an Karls Enkel bzw. Wenzel/Mensching oder Herrn Wollenberg). Es gab klasse Liedgruppen auf höchstem Niveau, die kaum jemand kannte, z.B. "Regenwiese" (nicht zu verwechseln mit "Regenmacher"), von denen es keine Mitschnitte gibt. Leider waren die meisten Musiker auch nicht bereit, nach der Wende diese Lieder aus der DDR nachträglich zu produzieren, weil sie die neueren Titel für besser hielten (was sie oft nicht waren).
Letztlich ist das auch ähnlich bei der Brigade Feuerstein. Deren mehr als 30 (!) Liedtheaterprogramme, auch Märchen und Zirkusprogramme, kennen viele gar nicht. Müsste es eigentlich in Buchform geben. Eigentlich. Ebenso wurde die Mehrzahl von Gundis Liedtexten aus den 70er/80er Jahren bisher noch nicht gedruckt. Und vielleicht wird es irgendwann nachträglich mal etwas mit einer CD der Brigade Feuerstein mit Gästen (oder der Liedgefährten) mit diesen Titeln.

Christine(R)

28.09.2018, 12:12

@ Pfeffi

"Ein Stückchen Himmel" von Bernd Rump

Genau deshalb fand ich diese CD aus Leipzig so toll, mit den alten Liedermachern, die jetzt im Winter oder Frühjahr erschien. Aber eine CD mit den Liedgefährten und altem Programm der Feuersteine wäre auch eine Wucht. Von "Regenwiese" hab ich noch nie gehört, leider. Aber von den Regenmachern habe ich Musik, was ein Glück.

Pfeffi(R)

28.09.2018, 18:37

@ Christine

"Ein Stückchen Himmel" von Bernd Rump

Ja, die CD/DVD/Buch "Leipziger Liederszene der 1980er Jahre" ist großartig. Von der Berliner Szene gibt es leider kein solches Produkt, obwohl es von dort sicher mehr Mitschnitte gibt.
"Regenwiese" war eine Dresdener Band (u.a. mit ehemaligen Schicht-Mitgliedern), die Mitte bis Ende der 1980er Jahre Liedrocktheater mit Texten von Beckert/Wolff, besser bekannt als Duo Sonnenschirm, machten. Extrem kritisch, z.B. das Stück "Hunde", in dem es hieß: "Wir hängen alle hier am Gängelband, hier in diesem engen Land". Und die hatten auch ein Kinderprogramm, wo es darum ging, einen König mit seinem Hofstaat zu stürzen. Die Kinder sollten mitmachen und fanden es lustig, und die Erwachsenen noch mehr, denn sie wussten genau wer mit dem Hofstaat eigentlich gemeint war. Klar dass so etwas nur live aufgeführt werden durfte. Aufnahmen waren unerwünscht. Leider löste sich die Band gleich nach der Wende auf.

Christine(R)

03.10.2018, 18:17

@ Pfeffi

"Ein Stückchen Himmel" von Bernd Rump

Danke Pfeffi, wieder etwas gelernt! Ich habe gestern jemand von der Gruppe Impuls getroffen und auch mit Bernd Rump viel gequatscht. Die spielen auch wieder Gundermann, Ralf von Impuls mit einigen anderen, haben schon etwa zehn Songs drauf. Eigentlich hätte man sich das alles aufschreiben müssen, gerade das Gespräch mit Bernd....

Pfeffi(R)

04.10.2018, 21:58

@ Christine

"Ein Stückchen Himmel" von Bernd Rump

Schön, vielleicht kommen Impuls ja mal zu unserem Treffen, d.h. PENA, im Juni in der Kufa. Das sollte aber erst noch im Vorstand geklärt werden.

Christine(R)

05.10.2018, 12:12

@ Pfeffi

"Ein Stückchen Himmel" von Bernd Rump

ja, es wäre auch schön, wir würden Hisztory mal wieder hören, aber vielleicht zu einer anderen Gelegenheit.

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