Die indische Umweltaktivistin Vandana Shiva bekam 1993 den alternativen Nobelpreis
Sind Autos überlebenswichtig, Investmentfonds unverzichtbar? Die indische Umweltaktivistin Vandana Shiva, ausgezeichnet mit dem alternativen Nobelpreis, plädiert im Interview mit Spiegel Online dafür, neue Prioritäten zu setzen - und Bäume zu pflanzen.
Spiegel Online: Frau Shiva, haben Sie als Umweltaktivistin und Feministin Verständnis dafür, dass viele Menschen in Deutschland gerade die Frage umtreibt, wer die Wahl zu "Germany's Next Topmodel" gewonnen hat?
Vandana Shiva: Nein, was diesen Teil des Lebens anbelangt, bin ich wirklich ignorant. Top-Models könnten an mir vorbeilaufen, und ich würde sie nicht erkennen. Nach Super-Models zu suchen, während das Klima und die Weltwirtschaft im Chaos versinken, ist so, als würde Nero fiedeln, während Rom brennt.
Welchen Eindruck haben Sie von Deutschland?
Ich war schockiert, dass die Regierung - um die sogenannte Wirtschaft am Laufen zu halten - den Menschen 2500 Euro Unterstützung zahlt, damit sie ihr Auto zerstören, damit die Industrie weiter Autos bauen kann. Aber woher kommt das Aluminium für diese Autos? Ich arbeite mit Gemeinden in Indien, die gegen Aluminium-Erz-Minen und gegen neue Stahlwerke kämpfen.
In Deutschland ist die Stahlindustrie in der Krise ...
... bei uns wird Stahl hergestellt, auf unserem Ackerland. Wenn ich hier grüne Landstriche sehe, muss ich an ehemals schöne Gegenden in Indien denken, die zerstört wurden, um die Konsummaschinerie am Laufen zu halten.
Wie lässt sich dieser Prozess Ihrer Meinung nach aufhalten?
Wir können Schlimmeres verhindern, wenn wir uns entscheiden, bewusst und verantwortungsvoll zu leben. Wenn wir unser Verhalten nicht ändern, wird unser Planet weiter zerstört. Den Menschen werden die Lebensgrundlagen entzogen, die Gesellschaft kommt ins Wanken. Die meisten Konflikte, wie in Sri Lanka oder im Swat-Tal, sind Nebeneffekte unseres Wirtschaftmodells, das so gierig nach Rohstoffen ist, dass es anderen die Ressourcen stiehlt. Und die Bestohlenen werden sich erheben. Man hat eine ökologische Zeitbombe und die ökonomische - und man weiß nicht, welche zuerst explodiert.
Martin Luther wird das Zitat zugeschrieben: "Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt untergeht, würde ich heute ein Apfelbäumchen pflanzen." Haben Sie schon einen Apfelbaum gepflanzt?
Ich habe schon viele Pflanzensamen gesammelt. Und je verzweifelter ich werde, umso mehr Samen sammele ich und setze sie ein. Und eines ist sicher: Der Drang in mir, biologische Vielfalt zu wahren, örtliche Landwirtschaft zu schützen und den ärmsten Menschen ihre Lebensgrundlagen zu sichern, wächst proportional mit der Zerstörungswut der globalen Wirtschaft.
Sehen Sie die Gefahr, dass die ökologische Krise jetzt wegen der ökonomischen Krise vernachlässigt wird?
Wir konzentrieren uns sicherlich zu sehr auf die ökonomische Krise - natürlich auch, weil die Regierungen und die Automobilindustrie sie als den Anfang vom Ende darstellen. Als würde die Welt ohne Banken und Autobauer zusammenbrechen. Dabei verkauft die Automobilindustrie zu viele Wagen, die keiner wirklich braucht, und die Banken spekulieren ständig mit neuen Papieren. Statt das zu korrigieren, wird alles getan, um rettend einzugreifen. Das ist so, als hätte ein Luftballon ein Loch, und man pustet trotzdem weiter Luft hinein. Aber ein kaputter Ballon ist kaputt.
Wir müssen uns also von Limousinen und Investment-Fonds verabschieden?
Die Krise zeigt uns, das stetige Anhäufen von materiellen Dingen ist vorbei. Nun kann man entweder in Panik geraten oder man kann sagen, gut, dass das vorbei ist - nun kann ich mich darauf konzentrieren, ein wirklich glückliches Leben zu führen.
Die Krise als - letzte - Chance?
Genau, aber Regierungen und Unternehmen sind zu schwerfällig, um Alternativen zu entwickeln. Es ist wie bei einer schweren Maschine, die einmal in Gang ist. Es sind die einfachen Bürger, die andere Ideen haben und sich für diese einsetzen müssen.
Und wie könnte das Engagement der Bürger aussehen?
Gärtnern kann die Welt retten. Wir sind an einem Punkt, an dem Gartenarbeit viel ändern kann - materiell, emotional und politisch. Jeder sollte gärtnern. Für die Menschen, die keinen Platz haben, müssten die Gemeinden dafür öffentlichen Raum schaffen - statt neuer Parkplätze. Im Krieg wurden hier in Deutschland auch an den Rändern der Städte große Gärten angelegt, damit sich die Menschen ernähren konnten. |