Die Lieder waren in ihrer Reihenfolge auch thematisch sehr geschickt und einfühlsam arrangiert. Eine große Stärke des Liedgefährten-Programms ist auch, dass sie Gundermann selbst so viel mit seinen Texten zu Wort kommen lassen – so ist er doch immer mit dabei, mit seiner Klugheit und seinem Humor. Alle zwei Minuten, ach was, manchmal alle zwei Sekunden ein neuer Denkanstoß, das ist garantiert. Und gedacht wird nicht in einfachen Bahnen, sondern auch mal gehörig um die Ecke, alles andere wäre nicht Gundermann. Die Liedgefährten, zu Anfang die Schauspielerin Petra Kelling und Linda Gundermann, jetzt inzwischen Linda und Liedermacher Melvin Haack haben wahre Schätze ausgesucht. Manches ist dem Publikum lange vertraut, auch viel Unbekanntes ist dabei, an dem man lange zu knabbern hat. Auch Melvin Haacks „In der Nachbarschaft“ macht richtig Laune, mit Flöte und weiblichen Stimmen begleitet, eine echte Perle. Udo Seidel sorgt mit Original-Feuerstein-Feeling für einen lässig-souveränen, lebendigen Bass. Und Hugo Dietrich „Hoywoy II“ singen zu hören, das ist so unfassbar schön, für mich ist es, als hörte ich es zum ersten Mal. Auch die Aufführung von „Rastatt“ durch Conny Gundermann und Hugo Dietrich ist einzigartig, da hat sich noch keiner herangewagt. Für echte Gundermann-Fans ist das ganze Programm im Grunde ein besonderes Fest, z.Bsp. gibt es frühere Versionen bekannter Lieder zu entdecken, wie zum Beispiel „Keine Zeit mehr“, schnell, pfiffig, von der Melodie her an das lateinamerikanische Original angelehnt (bajo el sol de Bogota). Langweilig wird es einem mit den Liedgefährten nun wirklich keine einzige Sekunde.
Hugo Dietrich und Conny Gundermann sind die Seele des Programms, und doch ist es bei den Liedgefährten so, dass jeder Einzelne ein sehr kostbarer Teil des Ganzen und absolut unverzichtbar ist, wunderbar zur Geltung kommt. Sie sind ja alle auch jeder eine echte Koryphäe auf ihrem Gebiet, z.Bsp. Bunki Bunkenberg als Leiter des Erich-Fried-Chors oder Tina Powileit als Schlagzeugerin der Seilschaft. Bunki, einst zur Singegruppe „Regenmacher“ gehörig, macht Neil Young alle Ehre, wenn er bei „Keine Platte mehr“ richtig ordentlich gesanglich eskaliert, wundervoll! Tina Poweileit webt mit ihren Percussionkünsten im dichten Klangteppich der Liedgefährten den goldenen Faden und brilliert mit einem großartigen Schlagzeug-Solo. Bernard P. Bielmann (Flober) singt das wunderbare „Hungerherzen“. Es passt zu ihm und zur ganzen Band, es ist das Lieblingslied von Heiner Kondschaks Randgruppencombo und seinem Publikum, wunderschön neu interpretiert, es wird weitergetragen. Die Arrangements der Liedgefährten sind abwechslungsreich mit ihren vielen Instrumenten, vielfältig. Ganz eindrücklich auch das Lied „Erste Reaction“, auch ganz unbekannt, ein Lied, das für das Jahr 2024 geschrieben scheint, „wir verstehen manchmal gar nicht, wie weitschauend jemand gewesen ist“, sagt Hugo Dietrich. Der Jemand ist natürlich Gundermann, und 2024 ist er schon mehr als ein Vierteljahrhundert nicht mehr da.
Für mich ein ganz großer Höhepunkt des Konzerts ist dann ein literarisches Feuerwerk aus der Lausitz. Hugo Dietrich rezitiert die Schlüsselszene des Romans „Krabat oder Die Verwandlung der Welt“ von Jurij Brězan, sie spielt im Moor. Krabat und Reissenberg, die Widersacher seit Jahrhunderten, begegnen sich auf einem schmalen Weg, sie können nicht aneinander vorbei, ohne dass sie im Moor zu Tode kommen, sie müssen eine Lösung finden, was ihnen auch gelingt. Eine passendere Szene für dieses Konzert gibt es schon alleine thematisch nicht, und der Vortrag selbst ist so beeindruckend, einfach eine Meisterleistung, „einsame spitze“. Dafür würde ich jede sonstwie hoch preisgekrönte offizielle Theaterdarbietung hergeben. Ich bekomme so eine vage Ahnung, was man da wirklich alles verpasst hat, wenn man nie die Brigade Feuerstein im Original und live zu sehen bekommen hat, verdammt. Was ein Glücksfall, dass sich jetzt diese Formation vor neun Jahren bei Gundis 60. Geburtstag in Hoyerswerda gefunden hat.
Natürlich lässt das Publikum die Liedgefährten nur mit mehreren Zugaben gehen. Es ist ein Jahrhundertkonzert, ein Feuerwerk, unvergesslich, unvergleichlich, und Gerhard Gundermann ist hier, in jeder Sekunde, bei jedem Ton, bei jedem Solo, bei jedem Lied. Und die Liedgefährten haben sich längst mit ihrer Musik so in die Herzen ihrer Zuhörer manövriert, dass auch sie für die Ewigkeit da zu finden sein werden, ganz sicher, neben Gundi. Radio Slubfurt hat die Darbietung in die große weite Welt, also in ihren Sendebereich natürlich, übertragen. Die Stadt Hoyerswerda, Gundis Verein und die Bands machen sich auf, nächstes Jahr Gundermanns 70. Geburtstag zu feiern. Sie schauen nach vorn, aber im Moment ist mir danach, dass ich dieses Konzert nochmal erleben will, nochmal zurück zum Beginn, zurück zum tosenden Beifall am Anfang, „so lasst uns gehen“, Hugo Dietrich begrüßt das Publikum… bitte nochmal von vorne… |